Dipl. med. Ana Steindorff Pinheiro ist Ärztin in einer Hausarztpraxis in der Nähe von Berlin. Sie hat sich auf Ernährungsmedizin zur Vorbeugung und Behandlung chronischer Krankheiten spezialisiert und berät ihre Patienten auch zum Thema pflanzliche Kost. Seit 20 Jahren ernährt sie sich pflanzenbasiert.
Wie oft haben Sie im Arbeitsalltag mit dem Thema vegetarisch-vegane Ernährung zu tun?
Ich behandle täglich Patienten mit chronischen Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Autoimmunerkrankungen, denen ich zu einer pflanzenbasierten und fettreduzierten Ernährung rate. Milch und Eier sind unter anderem durch ihren hohen Cholesterin-, Eiweiß- und Fettgehalt ähnlich gesundheitsschädlich wie Fleisch. Gelegentlich kommen auch gezielt vegetarisch-vegan lebende Patienten zu mir.
Wie gut sind Veggie-Eltern über die Nährstoffversorgung bei einer pflanzlichen Ernährung informiert?
Ein weit verbreitetes Phänomen bei allen Eltern ist die Sorge um eine ausreichende Nährstoffversorgung, die bei den meisten jedoch gegeben ist. Im Vergleich dazu gibt es große Wissenslücken in Bezug auf Fett, Cholesterin und Eiweiß. Der Überfluss dieser Stoffe trägt wesentlich zur Entstehung vieler sogenannter Volkskrankheiten bei. Wie bei Omnivoren herrscht auch bei Veggie-Eltern große Unsicherheit, die meiner Ansicht nach durch die Lebensmittelindustrie sowie über die Medien verbreitet wird, um eigene ökonomische Interessen durchzusetzen.
Welche Herausforderungen kann es in der Schwangerschaft und Stillzeit im Hinblick auf die Ernährung geben und wie kann man ihnen begegnen? Was ist bei einer veganen Kinderernährung zu beachten?
Bei einer veganen Ernährungsweise ist hauptsächlich die Versorgung mit Vitamin B12 und Eisen sowie im Winter mit Vitamin D eine kleine Herausforderung. Ein Vitamin-B12-Mangel ist für alle Ernährungsformen ein ernst zu nehmendes Problem. Das lässt sich durch geeignete Nahrungsergänzungsmittel beheben. Ich rate zu kleinen Injektionen unter die Haut oder hochdosierten Kapseln/Tropfen. Eine ausreichende Eisenversorgung ist ebenfalls sehr wichtig, auch bei Mischkost. Etwa die Hälfte aller Schwangeren braucht Nahrungsergänzungsmittel. Am Besten nimmt der Körper Eisen in Verbindung mit Vitamin C auf. Im Winter ist es in vielen Fällen ratsam, Vitamin D zu substituieren.
Bei einer strikten Rohkost oder der makrobiotischen Diät drohen außerdem Kalorien-, Eiweiß- und Mikronährstoffdefizite. Deshalb rate ich davon ab.
Welche Untersuchungen empfehlen Sie vegetarisch-veganen Schwangeren, Stillenden und Kindern?
Ich empfehle eine Anamnese und Untersuchung von einem Arzt, der sich auf diesem Gebiet gut auskennt, samt Besprechung des Ernährungstagebuches. Bei Schwangeren und Stillenden rate ich zur Bestimmung von Laborparametern zum Erkennen von einem eventuellen Mangel an Eisen, Vitamin B12 oder Vitamin D. Bei Kindern, die man einer Laboruntersuchung nicht aussetzen will, haben sich eine Untersuchung des Urins auf Methylmalonsäure zum Ausschluss eines Vitamin-B12-Mangels bewährt.
Welche gesundheitlichen Vorteile sehen Sie in einer pflanzlichen Ernährung allgemein?
Eine pflanzliche fettreduzierte Ernährung kann unter anderem zur Vorbeugung und Behandlung chronischer Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2, Krebs (Prostata, Brust und Darm), Übergewicht, Lungenkrankheiten sowie rheumatischen und autoimmunen Erkrankungen beitragen. Bei Schwangeren zeigt sich ein geringeres Risiko für übermäßige Gewichtszunahme, Bluthochdruck und Schwangerschaftsdiabetes, was auch zur Gesundheit des Neugeborenen beiträgt. Stillende übertragen ihren Säuglingen weniger Giftstoffe und Allergene. Kinder profitieren auch in späteren Lebensphasen von diesen gesundheitlichen Vorteilen.
Welche weiteren Tipps haben Sie für (angehende) Veggie-Eltern?
Lassen Sie sich nicht verunsichern, besonders nicht von weniger aufgeklärtem medizinischen Personal oder der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Ich verweise gern auf die Academy of Nutrition and Dietetics (AND), die in ihrem Positionspapier schreibt: „Gut geplante vegane und andere Formen der vegetarischen Ernährung sind für alle Phasen des Lebenszyklus geeignet, einschließlich Schwangerschaft, Stillzeit, Kindheit und Jugend.“
Welche Rolle spielt die pflanzliche Ernährung in der medizinischen Ausbildung? Was wünschen Sie sich oder hätten Sie sich beispielsweise im Studium gewünscht?
Die Ernährung als Medizin im Allgemeinen und im Besonderen die pflanzlich basierte Ernährung spielt leider überhaupt keine Rolle in der Ausbildung zum Arzt. Deshalb ist es nicht überraschend, dass so wenig Wissen darüber vorhanden ist. Es ist zwingend erforderlich, die Studienpläne der Hochschulen um diese Lerninhalte zu erweitern, denn die Ernährungsmedizin ist heute ein wichtiger Fachbereich. Das ist meiner Ansicht nach aber nur eine Frage der Zeit. In den USA zum Beispiel wurde die Ernährungsmedizin als Bestandteil des Studiums bereits eingeführt.
Nicht alle Ärzte sind der vegan-vegetarischen Ernährung aufgeschlossen. Was raten Sie diesen Kollegen?
Liebe Kollegen, bitte geben Sie keine Beratung über Ernährung, und besonders über pflanzenbasierte Ernährung, wenn Sie kein wissenschaftlich basiertes Wissen auf diesem Gebiet besitzen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich in diesem Bereich weiterzubilden und seine Kompetenzen zu erweitern.
Vielen Dank, Frau Steindorff Pinheiro, für das Interview!
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