Prof. Dr. Volker Peinelt leitete 14 Jahre lang das Referat Gemeinschaftsgastronomie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Anschließend war er über 20 Jahre an der Hochschule Niederrhein aktiv und entwickelte unter anderem ein Konzept für eine hochwertige Schulverpflegung. Er war einer der beiden wissenschaftlichen Leiter des 2015 veröffentlichten „Handbuchs der Gemeinschaftsgastronomie“, das mit über 60 Autorinnen und Autoren alle wichtigen Bereiche abdeckt. Im Interview spricht er über seinen Ansatz, die Schulverpflegung in Deutschland zu optimieren.
Herr Prof. Dr. Peinelt, warum braucht es Ernährungsunterricht und Lehrküchen in Schulen?
Es geht hierbei um die Vermittlung von Ernährungswissen und Geschmackserfahrungen sowie praktischen Fertigkeiten bei der Zubereitung von Gerichten. Die Schülerinnen und Schüler sollten lernen, gesunde und schmackhafte Menüs zusammenzustellen und dies in einer Lehrküche auch ausprobieren dürfen. Nur wenn Kinder über Jahre zu Ernährungsthemen geschult werden, können bessere Ernährungsgewohnheiten dauerhaft geprägt werden.
Wir werden oft gefragt, ob es nicht am besten sei, direkt in der Schule frisch zu kochen anstatt sich das Essen liefern zu lassen.
Unter optimalen Voraussetzungen ist die Frischkost das beste Produktionssystem. In Japan funktioniert das einwandfrei, nicht aber in Deutschland. Wir haben nicht genügend Küchenfachkräfte: Die Zahl der Auszubildenden geht kontinuierlich zurück und die Abbruchquote ist sehr hoch (circa 60 %)[1]. Außerdem ist der Investitions- und Raumbedarf bei dieser Kostform am höchsten – sowie übrigens auch die Hygiene-Anforderungen. Hinzu kommt, dass Schulen keine Essenspflicht haben und vor allem in den weiterführenden Schulen oft weniger als 10 % der Kinder am Essen teilnehmen. Somit würden sich die Kosten für ein Frischkost-Essen auf bis zu 10 € belaufen [2]. Welche Eltern können sich das leisten? Der Staat müsste dieses System massiv subventionieren und viele Voraussetzungen erst einmal schaffen, ist dazu aber nicht bereit. Daher wäre ein temperaturentkoppeltes System an Schulen zu bevorzugen: „Cook & Chill“ oder „Cook & Freeze“ sind solche Verfahren, bei denen das Essen zentral zubereitet und an der Schule nur noch erwärmt werden muss. Die Qualität dieser Gerichte ist mit der von Frischkost vergleichbar.
Wie kann das Verpflegungssystem an Schulen optimiert werden?
Wir müssen wegkommen von schulspezifischen und unprofessionellen Lösungen. Stattdessen müsste die Schulverpflegung in größerem Maßstab organisiert werden, mindestens auf kommunaler Ebene. Der Aufwand ist viel zu hoch, wenn jede Schule das Rad neu erfindet. Aber leider wird es in Deutschland genau so gehandhabt, obwohl es qualifizierte Caterer mit dem System der Temperaturentkopplung gibt, die viele Schulen beliefern könnten. Das wäre rationeller, kostengünstiger und qualitativ hochwertig.
Was sollte aus Ihrer Sicht an der Schulverpflegung am dringendsten geändert werden?
Wegen gravierender Schwachstellen in der Schulverpflegung kann nur eine Zertifizierungspflicht auf Basis einer umfassenden Prüfung Abhilfe schaffen, die alle wesentlichen Aspekte abdeckt. Die Qualitätsstandards der DGE können da als Einstieg dienen[3]. Der Prüfkatalog muss aber wesentlich umfangreicher sein. Eine solche Zertifizierung mit jährlichen Folgeprüfungen könnte ein dauerhaft hohes Niveau der Schulverpflegung sicherstellen. Die Hochschule Niederrhein hat ein solches Konzept entwickelt, das inzwischen vom TÜV Rheinland angewendet wird. Es könnte in kurzer Zeit in ganz Deutschland eingeführt werden, wobei pro Essen nur lediglich 1 Cent (!) Mehrkosten anfielen[4]. Da eine Zertifizierungspflicht aber fehlt, kann jede Schule ihr eigenes Konzept umsetzen. Fehlende Kontrollen haben zur Folge, dass Hygienekonzepte nur in etwa der Hälfte der Schulen vorhanden sind – von anderen Schwachstellen ganz zu schweigen. Dies müsste eigentlich zur Schließung zahlreicher Schulmensen führen.
Welche gravierenden Probleme sehen Sie noch?
Die genannten Schwachstellen hängen mit dem Professionalisierungsgrad zusammen, der in der Schulverpflegung einer der schlechtesten in der gesamten Branche ist. Das starke Nachwuchsproblem kann nur durch personalsparende Systeme wie der Temperaturentkopplung gelöst werden. Die massenhafte Umsetzung scheitert unter anderem auch an der geringen Zahlungsbereitschaft. Deshalb gibt es hierzulande so viele Warmverpflegungsangebote, also Essen, das in Zentralküchen gekocht, warm angeliefert und dann noch in den Schulen warm gehalten wird – insgesamt bis zu 6 Stunden. Außerdem glauben viele Eltern, die Schulverpflegung selbst managen zu können und unterschätzen dabei die Komplexität und die Erfüllung rechtlicher Anforderungen. Ein großes Problem ist natürlich auch, dass sich der Staat nicht wirklich um das Thema kümmert. Zwar gibt es Vernetzungsstellen in den Bundesländern, doch können sie nur wenig bewirken. Dabei ließe sich eine hohe Qualität leicht finanzieren: Wenn für jedes Essen 5 € vom Staat gezahlt würde (Vollkosten), entstünden bei 3,2 Millionen Schülerinnen und Schülern[5] und einer Essensteilnahme von durchschnittlich 30 % bei angenommenen 220 Schultagen Gesamtkosten von circa einer Milliarde € pro Jahr. Das wären nur 8,8 % der Subventionierung klimaschädlicher Dienstwagen in Deutschland[6]. Dies zeigt die Prioritäten deutscher Politik.
Sie sagen, dass Qualitätsanforderungen nicht nur für das Mittagessen, sondern auch für die Pausenverpflegung beziehungsweise den Kioskverkauf aufgestellt und kontrolliert werden sollten. Wie können Schulen das umsetzen?
Eine Umsetzung ist am besten möglich, wenn ein qualifizierter Dienstleister verpflichtet wird, auch dieses Segment zu bedienen. Was Schulen dabei beachten müssen, steht zum Beispiel im DGE-Qualitätsstandard. Eine Kontrolle des Dienstleisters könnte am besten im Rahmen der Zertifizierung erfolgen. Auf keinen Fall sollte ungeschultes Personal den Verkauf übernehmen. Die Angebotsqualität ist dann erfahrungsgemäß schlecht.
Geht es bei der Zertifizierung auch um Nachhaltigkeit?
Die vom TÜV Rheinland durchgeführte Zertifizierung legt auch großen Wert auf die Nachhaltigkeit[7]. Eine Schule kann im Erfolgsfall sogar ein eigenes Nachhaltigkeits-Zertifikat erhalten. Erforderlich sind dafür gute Ergebnisse in allen Bereichen der Nachhaltigkeit: Gesundheit, Ökologie, Wirtschaft und Soziales. Die Kriterien hierfür beziehen sich zum Beispiel auf das Speisenangebot, die Herkunft der Lebensmittel (Öko-Landbau), Maßnahmen zur Reduzierung des Speiseabfalls oder Schulungen in Sachen Nachhaltigkeit.
Vielen Dank für das Interview, Prof. Dr. Peinelt.