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Interview zur veganen Schulverpflegung und zur Elterninitiative „Mehr Pflanzenkraft für Schulen!“

Ann-Marie Orf und Sarah Kalyanii Bihari aus Berlin haben die Initiative „Mehr Pflanzenkraft für Schulen!“ ins Leben gerufen. Wir wollten wissen, was es damit auf sich hat und welche Tipps sie für Eltern veganer Schulkinder haben.

Viele Eltern stoßen auf Widerstand, wenn sie beim Schul-Caterer nach veganem Essen für ihre Kinder fragen. Was sind hier typische Probleme und welche Erfahrungen habt ihr selbst gesammelt?

Kaly: Manchmal wird die Lieferung rundheraus verweigert, ohne große Erklärungen. Es gibt aber zum Beispiel auch Caterer, die Eltern raten, sich ein Attest zu holen und so nachzuweisen, dass aus gesundheitlichen Gründen vegan gegessen werden muss – obwohl sie wissen, dass keine gesundheitlichen Gründe vorliegen. Darauf sollte man sich meiner Meinung nach nicht einlassen, denn zum einen wollen wir ja, dass klar ist, dass es hier um ethische und ökologische Aspekte geht, und zum anderen sprechen wir hier über ein Falschattest. Das ist keine Kleinigkeit und es dürfte ohnehin schwer sein, Ärzt:innen zu finden, die bei so was mitmachen. (…)


Ann-Marie: Und natürlich ist es nicht sehr hilfreich, wenn veganem Essen mit dem Hinweis darauf eine Absage erteilt wird, dass es bei zwei Menülinien ja jeden Tag mindestens ein vegetarisches Essen gibt. Das kommt auch öfter mal vor. Da fehlt jedes Verständnis dafür, dass ein vegetarisches Essen für ein Kind, das vegan leben möchte, keine Option ist. 

Meine Erfahrung ist, dass man mit guter Kommunikation oft weiterkommt, wenn man hartnäckig bleibt. Ich hatte das auch schon, dass es eines gewissen Verhandlungsvorlaufs bedurfte, bis veganes Essen für meinen Sohn geliefert wurde. Dann lief es allerdings wirklich gut. Mit dem aktuellen Caterer an der Schule meines Sohnes gab es überhaupt keine Probleme, da ist veganes Essen ganz einfach als Sonderkost bestellbar. Das ist zwar noch weit weg vom Idealzustand, im Moment aber das Best-Case-Szenario. (…)

Was ratet ihr Eltern, deren Kindern veganes Essen vom Schul-Caterer verweigert wird?

Kaly: Ich glaube, im Endeffekt muss da jede Familie ihren eigenen Weg finden. Ich finde es falsch, sich auf die Attest-Sache einzulassen, aber ich kenne Eltern, für die war das die richtige Lösung. Die hatten einfach keine Nerven, diesen Kampf zu führen, und das kann ich sehr gut verstehen. Da gibt es im Moment einfach noch Stolpersteine, die es nicht geben dürfte. Das ist schon wirklich verrückt: Es gibt nichts Effektiveres, was wir als Einzelne zum Schutz der Umwelt und des Klimas tun können, als auf eine rein pflanzlicheErnährung umzustellen. Das Gemeinwohl profitiert also von jedem einzelnen Menschen, der vegan lebt – und trotzdem wird es Veganer:innen in vielen Settings immer noch so schwer gemacht.

Ann-Marie: (…) Wir leisten als vegane Menschen durch unsere Lebensweise einen ganz entscheidenden Beitrag zur Gesellschaft und gerade auch als vegane Eltern sind wir Vorbilder, und das nicht nur für unsere Kinder. Mit diesem Selbstbewusstsein und diesem Gefühl für Selbstwirksamkeit sollten wir in schwierige Gespräche gehen, finde ich. Mir hilft da auch der Gedanke sehr, dass es mit jedem Stolperstein, der aus dem Weg geräumt wird, leichter für alle wird, die nachkommen. Und je leichter es wird, vegan zu leben, auch mit und als Familie, desto mehr Menschen werden das auch tun. Denn dass es viele gute Gründe dafür gibt, ist inzwischen wohl den meisten klar.

Kaly: Wichtig ist auf jeden Fall, zu wissen, dass es einen Anspruch auf Selbstversorgung gibt, der durch die Freiheitsrechte geschützt ist. Verweigert der Caterer veganes Essen, dürfen die Eltern ihrem Kind also jeden Tag Essen mit in die Schule geben. Das bedeutet für die Eltern aber natürlich in jedem Fall einen zeitlichen Mehraufwand. Wenn das Schulessen nicht in Anspruch genommen wird, ist es außerdem wichtig, sich von den Kosten dafür befreien zu lassen – nicht nur, um selbst finanzielle Einbußen zu vermeiden, sondern auch, um eine Verpflegung mit Tierprodukten in der Schule nicht mitzufinanzieren. Die Befreiung kann ganz problemlos vonstattengehen, es kann aber auch rechtlicher Beistand notwendig werden, wenn sich die Verantwortlichen querstellen. (…)

Ann-Marie: Für viele ist die Selbstversorgung momentan die beste Lösung, hier muss sich aber grundsätzlich was ändern. Es muss ganz normal und einfach werden, in der Schule wirklich klima- und tierfreundlich zu essen, wofür sich ja auch Aktion Pflanzen-Power ganz toll einsetzt. Wenn wir das erreichen wollen, müssen wir aber insgesamt mehr Druck aufbauen. Da ist individueller Aktivismus total wichtig. Es zählt also jede:r Einzelne, der:die sich intensiv mit dem Caterer auseinandersetzt, die Schulleitung involviert, andere Eltern und Lehrkräfte mobilisiert, das Thema beim Elternabend auf die Agenda setzt, versucht, die Presse für das Thema zu interessieren, die lokalen Verantwortlichen anschreibt usw. usw. Und natürlich ist auch der Klageweg eine Option, wenn man persönlich betroffen ist, denn stellvertretend kann nicht geklagt werden. (…)

Ihr habt die Initiative „Mehr Pflanzenkraft für Schulen!“ gegründet. Was hat es damit auf sich?

Kaly: Mit der Initiative wollen wir einerseits erreichen, dass es ganz einfach wird, in der Schule durchgängig vegan zu essen, aber auch, dass ganz allgemein in der Schulverpflegung noch stärker auf Pflanzliches gesetzt wird. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) hat durch ihren Qualitätsstandard für die Verpflegung in Schulen einen maßgeblichen Einfluss darauf, was in den Schulen auf den Tisch kommt, daher steht sie im Fokus unserer Initiative. (…)

Könnt ihr kurz erläutern, wie ihr die Situation rund um die DGE und ihren Einfluss auf die Schulverpflegung aktuell seht?

Kaly: Tatsächlich ist die Ausgangslage hier in Deutschland im internationalen Vergleich ganz gut. Es wird ja gern auf die DGE geschimpft, da hat sich in den letzten Jahren aber wirklich viel getan. (…)

Ann-Marie: Ganz allgemein stünden wir in Deutschland nicht schlecht da, wenn die DGE-Standards für die Gemeinschaftsverpflegung flächendeckend umgesetzt würden, das ist aber leider nicht der Fall. Der Schulstandard ist derzeit nur in wenigen Bundesländern verbindlich, unter anderem in Berlin. (…) Dass hier auf lokaler Ebene angesetzt werden muss, ist eine wichtige Erkenntnis für alle, die im Bereich Schulverpflegung etwas bewegen wollen, denke ich. Mit lokal ist hier übrigens auch nicht zwangsläufig die Länderebene gemeint – hier können auch einzelne Städte vorpreschen. In Tübingen beispielsweise gibt es seit dem Schuljahr 2021/2022 nur noch 1 x die Woche Fleisch oder Fisch, das hat die Stadt so entschieden.

Ist zu erwarten, dass es vegane Kinder in der Schule in Zukunft einfacher haben?

Ann-Marie: Eine durchgängige vegane Verpflegung wird wohl nicht den Status erhalten, den wir uns wünschen, solange die DGE eine vegane Kinderernährung nicht empfiehlt. Dabei muss man sich allerdings klarmachen, dass sie nicht ausdrücklich davon abrät, sondern sich einfach zurückhaltend äußert, weil sie der Ansicht ist, dass die Datenlage immer noch unzureichend ist und deshalb aktuell keine „zufriedenstellende Einschätzung“ vorgenommen werden kann. Auf diesen Einwand, das DGE-Positionspapier „Vegane Ernährung“ von 2016 und die Ergänzung dazu aus dem Jahr 2020 gehen wir in unseren Schreiben an die DGE auch ein.

Das Interview in voller Länge (in dem es auch um die spezifische Situation in Berlin geht) sowie alle anderen Infos zu dieser Initiative und die zugehörige Korrespondenz findet ihr unter diesem Link: 
https://www.meatthetruthforyourkids.com/pflanzliche-re-schulverpflegung-initiative/

Weitere Informationen zur veganen Schulverpflegung: https://ecodemy.de/magazin/vegane-schulverpflegung/

Bildquelle: Ann-Marie Orf und Sarah Kalyanii Bihari